Gastbeitrag von Gerhard Oberkofler, geb. 1941, Dr. phil., Universitätsprofessor i. R. für Geschichte an der Universität Innsbruck.
Memoiren können und sollen einen großen Einfluss auf ihre Leser ausüben und sind in der Regel von opportunistischen Überlegungen der AutorInnen und von den Geschäftsinteressen der Buchverlage bestimmt. Innerhalb der kapitalistischen Klassengesellschaft konnten sich Frauen Freiräume schaffen, gelegentlich von der revolutionären Hoffnung getragen, Keimzellen einer neuen humanistischen Gesellschaft zu werden. Die deutsche Frauenrechtlerin und frühere Professorin für Ethik Helga E. Hörz (*1935), die fünfzehn Jahre in der UNO-Kommission „Zum Status der Frau“ für die Frauenrechte in der UNO gekämpft hat, lässt in ihrem Rückblick den Internationalen Frauentag ebenso lebendig werden wie die bewusste Frauenförderung in der von der Bundesrepublik okkupierten Deutschen Demokratischen Republik, von der nie ein Krieg ausgegangen ist.[1] Aber der Kampf vieler Frauen in Europa in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts für ihre Kinder, für ihre Enkel und Urenkel, für eine Welt ohne Krieg und für Möglichkeiten der persönlichen Entwicklung ist zu einer Episode der Geschichte hinabgesunken. Frauen und Mütter wie Ursula von der Leyen (*1958) oder Annalena Baerbock (*1980) oder Beate Meinl-Reisinger (*1978) operieren in erster Reihe an den Hebeln der zu Unterdrückung und Krieg treibenden Machtinstitutionen der Europäischen Union, ihre Sprache ist die von Lügen dominierte Herrschaftssprache des imperialistischen Systems.
Die heute 48jährige italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat 2021 das Buch „Io sono Giorgia“ veröffentlicht, welches seit 2025 in deutscher Sprache unter dem Titel „Ich bin Giorgia. Meine Wurzeln, meine Vorstellungen“ zugänglich ist.[2] Kapitelüberschriften sind „Ich bin Giorgia“, „Ich bin eine Frau“, „Ich bin eine Mutter“, „Ich bin rechts“, „Ich bin Christin“ und „Ich bin Italienerin“.
Giorgia Meloni repräsentiert den imperialistischen Staat Italien, der unter der Herrschaft der Monopole deren Interessen erfüllt. Nicht nur deshalb gilt sie bei der extremen Rechten der USA mit Donald Trump (*1949) als Zukunftshoffnung. An ihre erste Rede auf einer Massenversammlung von tausenden Italienern am 19. Oktober 2019 in Rom auf der Piazza San Giovanni, umgeben von ihren Verbündeten Silvio Berlusconi (1926–2023) und Matteo Salvini (*1973) und den Fahnen der Fratelli d’Italia, der Lega und der Forza Italia, erinnert sich Giorgia Meloni:
„Ich sprach ungefähr 20 Minuten aus dem Stegreif, von Herzen, meinem Instinkt und meiner Leidenschaft folgend. Natürlich in dem für politische Reden üblichen Ton, aber ich versuchte, wie immer, auch eine Vision zu vermitteln. Ich sprach erneut ein Thema an, über das ich schon auf anderen Veranstaltungen Gelegenheit gehabt hatte zu sprechen. Ich sprach über den Wert der Identität und von der großen, in unseren Tagen offen ausgetragenen Auseinandersetzung zwischen denen, die sie verteidigen, wie wir, und denen, die versuchen, sie völlig auszumerzen, wie unsere Gegner. Ich führte aus, dass alles, was uns heute definiert, vom herrschenden Einheitsdenken als feindlich angesehen wird und dass es kein Zufall ist, dass Werte wie Familie, Heimat oder die religiöse oder geschlechtliche Identität ständig Angriffen ausgesetzt wird“ (S.7 f.)
Über die Kunst der Beredsamkeit und der Notwendigkeit des Instinkts für Massenwirksamkeit hat sich der wortgewaltige Führer der deutschen Bewegung nach rechts Adolf Hitler (1889–1945) in seinem 1925/1926 erschienenen zweibändigen Buch „Mein Kampf“ wiederholt geäußert. 1934 ist der zweite Teil („Die nationalsozialistische Bewegung“) dieser Kampfschrift erstmals als „La mia Battaglia“ in Italienisch herausgekommen. Adolf Hitler hat im ersten Band auch eine Darstellung seines eigenen Werdens gegeben. Er hat das für notwendig erachtet, um üble Legendenbildung zu unterbinden, was die Absicht auch von Giorgia Meloni ist.
Die institutionalisierte Kirche mit ihrer hierarchischen Struktur war in Europa seit jeher Bündnispartner der herrschenden Klasse. Für Adolf Hitler war die katholische Kirche „im starken Festhalten an einmal niedergelegten Dogmen, die dem Ganzen erst den Glaubenscharakter verleihen“, beispielgebend. Eine kampffähige Bewegung wie der von ihm geführten, könne nur standhalten „unter Zugrundelegung einer unerschütterlichen Sicherheit und Festigkeit ihres Programms“.[3] Weil Papst Franziskus (1936–2025) das vom Vatikan repräsentierte Programm der katholischen Kirche durch seine Haltung vermenschlicht hat und „für eine Wirtschaft, die nicht tötet“ immer wieder eingetreten ist, wird seine prophetische Linie von Giorgia Meloni, die sich ohne Widerspruch als „Christin“ bezeichnet, scharf abgelehnt. „Ich sehe zu viele Atheisten, die ihm zujubeln“, meint diese italienische Frau, die keine Feministin sein will.[4]
Die ultrarechte Giorgia Meloni bittet ihren „Gott“ um Hilfe, wenn sie „in Schwierigkeiten war“, und dankt „Ihm, als ich seine Gaben erkannt habe“.[5] Die betrogenen italienischen Werktätigen und ihre Familien, die unter katastrophalen Bedingungen ausgebeuteten Erntehelfer aus afrikanischen Ländern in Süditalien oder die nach Albanien in Gefangenenlager transportierten Asylwerber werden sich wie die im Mittelmeer vor der Küste Italiens ertrinkenden Flüchtlingsfrauen und Flüchtlingskinder einen anderen „Gott“ als jenen von Giorgia Meloni suchen müssen.
[1] Helga E. Hörz: Der lange Weg zur Gleichberechtigung. Die DDR und ihre Frauen. trafo Verlag Berlin 2010.
[2] Originalausgabe 2021 bei Rizzoli, Mondadori Libri S. p. A., Milano; Aus dem Italienischen von Bernd Röben. Europa Verlage GmbH München 2025.
[3] Adolf Hitler, Mein Kampf. Zwei Bände in einem Band. Ungekürzte Ausgabe. Zentralverlag der NSDAP, Frz. Eher Nachf., München 1939, S. 512 f.
[4] Meloni, Ich bin Giorgia, S. 257.
[5] Meloni, Ich bin Giorgia, S. 257.