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Erich Weinert gegen den österreichischen Heimwehrfaschismus

Gastautor: Peter Goller, geb. 1961, Univ.-Doz. Dr. und Archivar an der Universität Innsbruck

Erich Weinert (1890–1953) zählt mit Anna Seghers („Der Weg durch den Februar“), Bertolt Brecht („Kolomann-Wallisch-Kantate“), Willi Bredel (in der „Prüfung“) oder Friedrich Wolf („Floridsdorf“) zu jenen deutschen antifaschistisch kommunistischen Exilschriftstellern, die an den österreichischen Arbeiteraufstand vom Februar 1934 erinnerten.

Weinerts politische Lyrik, seine Sprechgedichte gehören zum wirkungsvollsten KPD-Agitprop in den Jahren der Weimarer Republik. Ende 1942 sprach Weinert deshalb auch an der Stalingrader Front – so wie Walter Ulbricht oder Willi Bredel – direkt zu deutschen Soldaten, um sie von der faschistischen Ideologie zu befreien.

In den 1920er Jahren trug Erich Weinert wiederholt in Österreich vor. In autobiographischen Aufzeichnungen hat Weinert die Wirkung seines Vortrags auf ein ländlich konservatives, kleinbürgerlich indifferentes, auch auf sozialdemokratisches Publikum beschrieben: „Ich habe Wirkungen erlebt, die mich überraschten. In einem mecklenburgischen Landstädtchen wurde ich am Schluss meines Vortrags von einer Gruppe von Bauern, die aus der weiteren Umgebung herbeigekommen waren, begrüßt, die mir erklärten, dass sie zum erstenmal etwas über den Sozialismus gehört hätten, was Hand und Fuß hätte.

In Österreich wurde ich meistens von Sozialdemokraten umdrängt, die mich ihrer revolutionären Solidarität versicherten. Ich erlebte Sympathiekundgebungen leidenschaftlichster Art, die oft coram publico demonstriert wurden, von Intellektuellen, Studenten, Kleinbürgern und anderen, die mir sagten, dass ich ihnen die Zuversicht zur kommunistischen Idee gegeben hätte.

Ich möchte nur ein Beispiel anführen von vielen Fällen ganz unerwarteter Wirkungen, die mein Vortrag auslöste: in Salzburg, einer katholisch-großbürgerlichen Stadt, hatte die Partei, für meinen Vortrag den großen Kurhaussaal gemietet. Da es dort nur eine Handvoll Parteigenossen gibt, hatten wir uns auf einen fast leeren Saal gefasst gemacht. Wie erstaunt waren wir, als er um acht Uhr bereits überfüllt war. Da war ein Gemisch von Proleten, Bauern, Bürgern und offensichtlich feindlichen Elementen. Ein Teil mochte gekommen sein, um zu stören oder die Sache auffliegen zu lassen. Das Ergebnis aber war, dass die Applause zum Schluss sich zur begeisterten Kundgebung steigerten und dass (völlig überraschend) siebenundzwanzig Besucher spontan ihre Aufnahme in die Kommunistische Partei Österreichs beantragten.“

Zum Protest der Wiener Arbeiter gegen die fortschreitende rechtsautoritäre Demontage der bürgerlich demokratischen österreichischen Republik von 1918, insbesonders gegen faschistische Entwicklungen im Justiz- und Polizeiapparat („Justizpalastbrand“) schrieb Erich Weinert Mitte Juli 1927:

Jessas, alles ist kurz und klein!
Barrikaden errichtet!
Alle Abendblattwanzen schrein:
Grundbücher sind vernichtet!

Viktor und andere Hähne krähn:
Rettet, o rettet die Reste!
Denn wie sollen wir weiter bestehn
Ohne Justizpaläste?

Als man das acht Uhr abends geschrien,
Rüstete man zu Taten.
Gott sei Dank regierten in Wien
Gute Sozialdemokraten.

Darauf konnte man allerhand
In den Zeitungen lesen:
Wir steckten niemals etwas in Brand,
Wir sind es nicht gewesen!

Nein, die waren es wirklich nicht!
In den Beruhigungsdepeschen
Lasen wir täglich denselben Bericht:
Wir sind eifrig beim Löschen!

Seipel machte ein dankbares Kreuz.
Schober beruhigt die Massen.
Und auf die Feuerwehr vom Herrn Seitz
Kann man sich immer verlassen.

Tage später hält Erich Weinert unter „Wiener Scheibenschießen“ die Brutalität des großdeutschen Wiener Polizeipräsidenten Johann Schober fest. Mindestens achtzig Arbeiter wurden von Polizeistreifen niedergemetzelt:

Herrn Schober seine Polizisten
Hat sich das Herz im Leib gekrümmt.
Ach, wenn sie doch nicht schießen müssten!
Doch leider war es so bestimmt.
Sie schossen.
Der Ordnung halber schon,
Auf Volksgenossen.
Doch nahmen sie humanerweise
Nur Übungsmunition,
Und schossen leise
An hundert Demonstranten um.
Dumdum!

Erich Weinert wusste, dass die reformistisch zögerliche, auf bürgerliche Legalität bedachte österreichische Sozialdemokratie den gescheiterten Generalstreik gegen die Arbeitermorde nur soweit unterstützt hatte, als sie ihn nicht hatte verhindern können. Die „austromarxistischen“ Parteifunktionäre lässt Weinert dementsprechend als „Wiener Ruhestifter“ auftreten:

Es standen zwei Männer am Fenster des Parlaments.
Der eine sagte: „Genosse, das Volk demonstriert!“
Der andere sagte: „Mein Gott, wenn nur nichts passiert!
Was schreien die so? Ich glaube, da drüben Brennt’s.“

Da wurden die Herren am Fenster ein bisschen blass.
Der eine sprach: „Ich vermisse die Disziplin.
Wozu die Revolution? Was bedeutet denn das?
Wo wir an der Macht sind, Genosse, im roten Wien?“

[….]

Herr Seipel räumt auf mit eiserner Konsequenz.
Hundert sind tot. Sonst alles ganz wie vorher.
Da standen die beiden am Fenster des Parlaments.
Und einer sagte: „Genosse, es brennt nicht mehr!“

Nun stehn die Proleten und schauen zum Fenster hin:
Was haben nun unsere Toten für einen Sinn?
Die Herren am Fenster denken: „Was fragen die?
Die verstehn halt nichts vom Wesen der Demokratie.“

Zur ersten Jahreserinnerung an das Wiener Arbeitermassaker sprach Erich Weinert 1928 über Bundeskanzler Ignaz Seipel, den „Prälaten mit dem Jesuitenprofil“:

Herr Seipel, es ist der fünfzehnte Juli!
Denken Sie noch an den breiten Kuli
Aus Ottakring,
Der vornean mit der roten Fahne ging?

Herr Seipel, wissen Sie noch,
Wie’s Ihnen kalt über den Rücken kroch,
Als einer durchs Telephon geschrien:
Es brennt in Wien!?

Da war’s mit dem christlichen Lächeln vorbei
Auf Ihrer saueren Pfaffenvisage.
Aber Herrn Schobers Polizei
Hatte noch Gottvertraun und Courage!

Neunzig Genossen erschossen die Lümmel,
Und löschten den Brand mit Blut,
Da erhoben Sie Ihre Augen zum Himmel.
Denn Gott ist gut!

Und aus den Wolken fiel kein Strick
Auf ein frommes Jesuitengenick.
Heut beten die Herren im Stefansdom
Für einen gesegneten Fremdenstrom.

Herr Schober, wir wissen nicht wann,
Aber es kommt noch einmal ein Juli.
Da klopft es bei Ihnen an:
„Herr Schober, im Vorzimmer steht ein Kuli!“

Der redet nur ein paar Worte:
„Herr Schober, es ist soweit!
Unten steht Ihre Eskorte!
Sie wissen Bescheid!“

Große Hoffnungen setzte Erich Weinert in den Widerstand der österreichischen Arbeiterklasse. Über die sich selbst überlistenden „SPÖ-Strategen“ und die vermeintlichen „roten Trutzgeister“ im sozialdemokratischen Parteiapparat, die sich ihr stetes Zurückweichen vor der sich formierenden bürgerlichen Reaktion in angebliche Erfolge um- und schönredeten, machte sich Weinert keine Illusionen. Erich Weinert sah spätestens im Herbst 1928 die Gefahr des klerikalen Heimwehrfaschismus, der den „Marsch auf Wien“ probte:

Es waltet als Heimwehrkommandant
Herr Doktor Steidle im Burgenland.
Der sagte zu seinem Bataillon:
Am siebenten Oktober ist Revolution!

Da machen wir unseren Marsch auf Wien,
Und werden männlich vom Leder ziehn.
Dann knallen wir auf das Proletengesindel!
Dann ist es vorbei mit dem roten Schwindel!

[…]

Herr Doktor Steidle, der Putschmajor,
Der kam sich ganz wie Herr Seldte vor.
Denn wie Herr Seldte den Marsch auf Berlin,

So macht Herr Steidle den Marsch auf Wien.

Bald wird der künft’ge Diktator in Wien
In Wiener-Neustadt Quartier beziehn.
Von da aus will er nach allen Seiten
Die großen Operationen leiten.

Herr Seldte, den er sich zum Muster nahm,
Als der auf Berlin gezogen kam,
Der spuckte auch mal so große Bogen
Und ist dann still abgezogen.

Herrn Steidle könnte noch mehr passieren.
Denn in den Wiener Proletenquartieren,
Da kann ihm Hören und Sehe vergehn!
Das haben wir letztes Jahr gesehn.

Vom Schutzbund wird wohl Herr Steidle in Wien
Die vorschriftsmäßigste Dresche beziehn.
Denn diesmal hilft ihm auch kein Herr Schober.
Viel Glück, Herr Steidle, zum 7. Oktober!

Das pseudofolkloristisch lächerliche Auftreten der Heimwehrparamilitärs soll aber unter keinen Umständen über die politische Gefahr hinwegtäuschen, so hat neben dem Tiroler Heimwehrführer Richard Steidle auch der „erste Bundesführer“ Ernst Rüdiger von Starhemberg die Errichtung einer offen faschistischen Diktatur gefordert. Erich Weinert deshalb 1930 in „Heimwehrstab“:

Gott erhalte, Gott beschütze
Österreichs Heldengalerie!
Hahnenschwänzel an der Mütze,
Wacht die Heimwehr spät bis früh!
Kikeriki!

Wie die Steiermärker Leuen
Fraßen sie den roten Wurm,
In der schönen, in der neuen,
Grauen Sonntagsuniform.

Und auf allen Denkmalstreppen
Standen sie mit Vollbehang,
Diese kostümierten Deppen;
Und sie standen stundenlang.

Jeder hatte sich sein Glanzblech
An den Jägerhut geklemmt;
Jede Jacke war mit Stanzblech
Und dergleichen überschwemmt.

Mit dem Siegespreis am Gürtel
Gingen sie zur Wahl in Front.
Aber im Proletenviertel
Hat man sie nicht sehn gekonnt.

Schade, dass man die Kadetten
Nirgends sah im Volkstumult!
Nämlich die Proleten hätten
Sich vor Lachen vollgestrullt.

Doch so komisch die auch wirken,
diese Deppen sind brutal!
Hinter diesen Kümmeltürken
Stehen Papst und Kapital!

Hier genügt es nicht, zu spotten,
Österreichischer Prolet!
Sowas gilt es auszurotten,
Bis der ganze Spuk verweht!

Stellt sie auf im Wurstelprater,
In papierener Szenerie!
Denn im Kasperletheater
Ist der einz’ge Platz für die!
Kikeriki!

Zitiert nach Erich Weinert: Ein Dichter in unserer Zeit. Aufsätze aus drei Jahrzehnten, mit Zwischentexten von Willi Bredel, Verlag Volk und Welt, Berlin 1960, 21 – Erich Weinert: Gesammelte Gedichte 1919–1953, 6 Bände, Aufbau-Verlag, Berlin-Weimar 1970–1976: Band 2, 431, 440–445; Band 3, 142f., 201f., 491f.; Band 4, 141f.

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