Gastbeitrag von Gerhard Oberkofler, geb. 1941, Dr. phil., Universitätsprofessor i. R. für Geschichte an der Universität Innsbruck.
Die Kommunistin Anna Strömer-Hornik über den prägenden Beginn der revolutionären Frauenbewegung in Österreich
Ist die am 13. Mai 1890 in Wien geborene Arbeiterin Anna Strömer eine Evangelistin, weil ihre zentrale Botschaft „Brot und Frieden“ ist? Anna Strömer ist revolutionäre Zeugin im Kampf um die Befreiung von der Barbarei des Kapitalismus und für die Schaffung einer menschlichen Gesellschaft. Die Katholikin Dorothy Day (1897–1980) hat denselben Kampf wie Anna Strömer gekämpft und wurde deshalb von Papst Franziskus (*1936) am Weltfrauentag am 8. März 2015 als Frau „aus der Zukunft“ gewürdigt.[1] Das Grab der in Wien am 8. März 1966 nach längerer Krankheit verstorbenen, seit 1922 mit dem Mitbegründer der Kommunistischen Partei Österreichs Leopold Hornik (1900–1976) verehelichte Anna Hornik-Strömer am Wiener Zentralfriedhof (16. März 1966, Feuerhalle Simmering) existiert nicht mehr. Es ist ein sehr großes Verdienst des Teams von Ariadne der Österreichischen Nationalbibliothek, die Erinnerung an Anna Hornik-Strömer mit erkennbarer Zuneigung aktualisiert zu haben.[2]
Junge Menschen brauchen Vorbilder. Anna Strömer folgte von Beginn an den Spuren von Clara Zetkin (1857–1933), die sie persönlich kennengelernt hat. Auf der II. Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz in Kopenhagen hat Clara Zetkin gemeinsam mit Käte Duncker (1871–1953) und Genossinnen die Resolution eingebacht: „Im Einvernehmen mit den klassenbewussten politischen und gewerkschaftlichen Organisationen des Proletariats in ihrem Lande veranstalten die sozialistischen Frauen aller Länder jedes Jahr einen Frauentag, der in erster Linie der Agitation für das Frauenwahlrecht dient. Die Forderung muss in ihrem Zusammenhang mit der ganzen Frauenfrage der sozialistischen Auffassung gemäß beleuchtet werden. Der Frauentag muss einen internationalen Charakter tragen und ist sorgfältig vorzubereiten“.[3] Am 19. März 1911 hat Anna Strömer am ersten Aufmarsch der „Arbeiterinnen, Proletariermädchen und Proletarierfrauen“ in Wien mit der Forderung „Den Frauen gleiches Recht“ teilgenommen. Der Zug der Frauen hinter Roten Fahnen ging über die Ringstraße zum Parlament und Rathaus. Therese Schlesinger (1863–1940) hat das „Frauenwahlrechtslied“ gedichtet mit dem Beginn: „An uns, ihr Frauen, ist die Reihe, / zu kämpfen jetzt für unser Recht“.[4] Die österreichische Sozialdemokratie hatte noch in ihrem Wahlrechtskampf 1905/06 den Kampf um das Frauenwahlrecht als störend ignoriert.
Über mütterliche Hingabe
Zum Frauentag 1948 zeichnete Hella Postranecky (1903–1995) als Vorsitzende des Zentralen Frauenkomitees der Kommunistischen Partei Österreichs einen Aufruf, in dem die Forderung „Kein Kind soll umsonst seine Hände zu uns heben, um ein Stück Brot oder ein bisschen Milch!“ begründet wird: „Jedes Tier verteidigt sein Junges mit seinem Leben, wenn es in Gefahr ist. Jede Mutter kämpft für ihr Kind. Unsere Kinder sind in Gefahr. Verteidigt sie, Mütter! Die Kraft, die einer Mutter die Liebe zu ihrem Kind gibt, ist groß. Besinnt Euch auf Eure Kraft. Dort, wo ihr gekämpft habt, habt Ihr immer gesiegt“.[5] Als eine von Müttern, „die sich schützend vor ihre Kinder stellt, die ihnen den Frieden bewahrt, um ihnen eine glückliche Zukunft zu sichern“, wird im Bund demokratischer Frauen Österreichs, der am 24. und 25. Februar 1950 in Wien seinen I. Kongress abhielt, die spanische Revolutionärin Dolores Ibárruri (1895–1989), La Pasionaria, verehrt.[6] Sie hatte ihren einzigen, in der Roten Armee gegen die deutschen Völkermörder kämpfenden Sohn Rubén Ruiz in der Schlacht von Stalingrad verloren.[7] Über die von der österreichischen Künstlerin Esther Strauß (*1986) geschaffene, im Linzer Mariendom aufgestellte realistische Skulptur einer gebärenden Maria, deren Sohn Jesus die Liebe als unbedingtes Gebot verkündet hat und am Kreuz von den herrschenden Eliten hingerichtet wurde, wird in diesen Tagen in Feuilletons diskutiert.[8] Von Apostel Paulus ist überliefert, dass der von Christen angenommene Gott „als die Zeit erfüllt war“, seinen Sohn sandte, „geboren von einer Frau“.[9] Wie kann ein neues Leben beginnen? Der marxistische Kunstkenner Konrad Farner (1903–1974) hat in Zürich zur Darstellung „Der Tag der Geburt“ von Edward Kienholz (1927–1994) bemerkt, dass dieser den individuellen Vorgang einer Geburt in das Allgemeingültige gehoben hat.[10] Die Kernaussage von Esther Strauß in ihrer Maria-Skulptur, dass eine Frau, den Verkünder von Agape als die alles erfassende Liebe geboren hat, wird nicht in Frage gestellt.
Anna Hornik-Strömer hat in der „Stimme der Frau“ mit vielen Genossinnen unterschiedlicher Herkunft und Erfahrung zusammengearbeitet. Mit Ina Jun Broda (1900–1983) verstand sich Anna Hornik-Strömer gut. Diese war von ihrem traumatischen Erleben mit den deutschen Besatzern in Jugoslawien geprägt. Ihr Gedicht in der „Stimme der Frau“[11] gibt auch das unendliche Leid der vom israelischen Bombenterror getroffenen Kinder in Palästina wieder:
Kind im Partisanenspital
Ich war noch klein,
Hütete Schaf und Ziege
Daheim zwischen Baum und Stein.
Mehr Stein als Baum.
Mein Brüderchen lag in der Wiege,
Mein Kleid hatte bunten Saum,
Heut glaubst du’s kaum.
Die Bäume sind grau, der Stein ist weiß,
Und da liegt ein Bällchen so rot,
Ich nehm’s in die Schürze, ja – wer weiß,
Dass so schön sind die Eier vom Vogel Tod?
Ich war noch klein.
Ich stolperte über den weißen Stein,
Da ward das Bällchen wild
Und schrie und zerfraß mir gierig und heiß
Das eine und das andere Bein –
Gott weiß,
Ob die Mutter weint oder schilt?
Jetzt lieg‚ ich in einem großen Bett
Und alles um mich ist so fremd.
Nachts rudert man mich auf schwankem Bett
Mit grauen Soldaten von Ort zu Ort –
Der Ball und mein Schürzchen und Kleidchen
sind fort.
Jetzt trag‘ ich ein graues Hemd.
Auch meine Zöpfe sind fort –
Man hat mich kahl geschoren.
Auch meine Beine sind fort –
Die hab‘ ich für immer verloren.
Die Mutter sprach stets: Kind, Kind, gib acht!
Mein Gott, was hab‚ ich denn gemacht?
Das rote Bällchen, das rote Äpfelchen
Gefunden und nicht nach Hause gebracht?
Im Mai 2024 gelten 21000 palästinensische Kinder als vermisst. Die Intensivmedizinerin Tanya Haj-Hassan vom Al-Aqsa-Krankenhaus kann im Mai 2024 nur noch klagen: „Ich kann mich an einen Vater erinnern, der rußverschmiert und barfuß ins Krankenhaus kam und den Namen seiner Tochter rief, um dann zusammenzubrechen, als er merkte, dass sie nicht da war. In einem anderen Fall kam eine Mutter im Rollstuhl, gerade eine Woche nach der Entbindung, und erzählte dem Krankenhauspersonal, dass ihr sieben Tage altes Kind unter dem Schutt begraben ist.“[12] Israel geht völkermörderisch gegen die palästinensischen Familien vor, es sind keine fehlgeleiteten Raketen.
Dokument 1
Stimme der Frau vom 6. März 1948
Anna Hornik-Strömer
Der erste Frauentag in Wien
Niemals werde ich diesen ersten Frauentag [19. März 1911] vergessen. Es war ein strahlend schöner Märztag. Und auch die Gesichter der Frauen strahlten, die freudig erregt in langen Bezirkszügen dem Rathaus zustrebten, wo in der Volkshalle die große Demonstrationsversammlung stattfand. Erstaunt lasen die Passanten die Parolen auf den Tafeln, welche die Frauen mit sich trugen: „Wir fordern das Frauenwahlrecht!“ „Gleiche politische Rechte der Frauen!“ „Wir Frauen und Männer kämpfen für den Frieden!“ Mancher dumme, geistloser Witz wurde den Frauen zugerufen, die ihn sofort schlagfertig parierten. Die Spießer konnten es nicht verstehen, dass Frauen, noch dazu Arbeiterfrauen, auf die Straße zogen wie Männer, um für politische Forderungen zu demonstrieren. Sie witzelten und spöttelten und manche waren ehrlich entrüstet über die „politischen Weiber“.
Diese „Weiber ließen sich’s aber nicht anfechten. Stolz zogen sie dahin, im Bewußtsein ihres Rechts. „Vier Buben hab‘ ich großgezogen“, sagte neben mir ein altes Mutterl, das tapfer mit uns Jungen Schritt hielt, „Sie haben alle heute das Wahlrecht. Bin ich, die Mutter, dem Staate weniger wert als meine Kinder?“ „Mit Narren und Unmündigen stellt uns das Gesetz auf eine Stufe“, bemerkte eine Studentin, eine angehende Ärztin, „das wollen wir uns nicht länger gefallen lassen“. „Ich steht’ seit Jahren in der Fabrik. Der junge Mensch neben mir hat das Wahlrecht, ich, die ich älter und reifer bin als er, hab’ es nicht. Aber och einen Unterschied gibt es zwischen mir und ihm: obwohl wir beide dieselbe Arbeite machen, verdient er fast um die Hälfte mehr. Auch dieser Unterschied muß verschwinden“. Lebhaft stimmen die Frauen zu.
Beim Rathaus angelangt, können wir nicht mehr in die Volkshalle hinein. Zu Tausenden sind die Frauen gekommen, um für ihre Forderungen zu demonstrieren. Auf dem großen Platz vor dem Rathaus wird eine zweite, eine dritte und vierte Versammlung abgehalten.
So wie die Arbeiterinnen von Wien, so versammelten sich die Frauen in ganz Österreich und darüber hinaus in ganz Europa. Und in jedem folgenden Jahr kamen sie an dem gleichen Tag zusammen, um ihre Forderungen zu erheben. Immer leidenschaftlicher erscholl ihr Ruf nach Frieden: der erste Weltkrieg warf bereits drohend seine Schatten voraus. Und selbst als der Krieg dann wirklich ausbrach, konnte er die Aktivität der Frauen nicht eindämmen. Bereits im Jahre 1916 wurden in Österreich Frauentagsversammlungen abgehalten, allerdings hinter verschlossenen Türen. Aber der Ruf der Frauen nach Frieden drang aus den abgeschlossenen Räumen hinaus und fand Widerhall in der gesamten Bewegung.
Für „Brot und Frieden“ zogen am 8. März 1917 die Frauen Petrograds auf die Straßen und sie erkämpften den Frieden gemeinsam mit den Arbeitern und Soldaten Rußlands.
„… Petrograd, in Moskau, in den Städten und Industriezentren und draußen auf dem Lande haben sich die Proletarierinnen in der Revolution prächtig gehalten. Ohne sie hätten wir nicht gesiegt, oder doch kaum gesiegt. Das ist meine Meinung“. Das sagte Lenin im Jahre 1921 zu Clara Zetkin, der Vorkämpferin der Frauen. Clara Zetkin war es, die 1910 auf der „Internationalen Konferenz der sozialistischen Frauen“ in Kopenhagen den Antrag stellte, alljährlich an einem bestimmten Tag – sie schlug den 8. März vor – die arbeitenden Frauen zum Kampf für ihre politischen und wirtschaftliche Gleichberechtigung aufzurufen. So wurde, auch in Österreich 1911, der erste Frauentag gefeiert.
Das Beispiel der russischen Frauen feuerte auch die österreichischen Arbeiterinnen an, die im Jänner 1918 Seite an Seite mit den Männern für „Brot und Frieden“ streikten. Und auch sie erkämpften den Frieden, sie erkämpften das Wahlrecht und ihre formelle politische Gleichberechtigung – aber sie haben noch lange – bis heute – nicht die wirkliche, die volle wirtschaftliche Gleichberechtigung erreicht, der sich die Frauen der Sowjetunion und der neuen Volksdemokratien erfreuen.
Deshalb ist auch heute noch der 8. März in Österreich nicht nur ein Freuden- und Ehrentag, sondern ein Kampftag für die Frauen.
Dokument 2
Stimme der Frau vom 4. März 1950
Anna Hornik-Strömer
Clara Zetkin hat den internationalen Frauentag geschaffen
„Wenn die Arbeiter die Macht ergreifen werden und Sie für Ihre Hartherzigkeit und Ihren Hochmut an die nächste Laterne knüpfen wollen, ich werde Sie nicht schützen!“ So sprach eine Neunzehnjährige zu dem Vater ihrer Zöglinge, in dessen Haus sie Erzieherin war.
Diese kühnen Worte der jungen Clara Zetkin kennzeichnen ihr ganzes späteres Leben. So war sie immer furchtlos, kompromisslos, immer bereit, das Äußerste im Kampf um die Befreiung der Frauen im Kampf um den Frieden zu wagen.
Wir wissen nicht, ob der Fabrikant, dem sie diese kühnen Worte entgegenschleuderte, sie sofort entlassen hat. Wir nehmen es an. Jedenfalls finden wir Clara Zetkin zwei Jahre später – im Jahre 1878 – in der Schweiz, wohin die junge Sozialistin vor den Verfolgungen der Polizei geflüchtet war, denn in Deutschland hatte Bismarck das Sozialistengesetz erlassen, das jede Betätigung für den Sozialismus unter Strafe stellte. Von den Schweiz ging Clara Zetkin mit ihrem Mann nach Paris, wo sie im Kreis der Führer der revolutionären Arbeiterbewegung ihre revolutionäre Schulung erhielt. Dort starb, ganz jung, ihr Mann. Noch während des Sozialistengesetzes kehrte sie nach Deutschland zurück. Obwohl sie allein für zwei kleine Kinder zu sorgen hatte und sich kümmerlich mit Übersetzungen durchschlug, sprach sie fast täglich in geheimen Versammlungen.
Nach der Aufhebung des Sozialistengesetzes wird Clara Zetkin Leiterin der sozialldemokratischen Frauenzeitung „Die Gleichheit“. In zahllosen Artikeln und Aufsätzen hat sie durch diese Zeitung an der Erweckung der Frauen zum Sozialismus gearbeitet.
Im Jahre 1907 wird Clara Zetkin Sekretärin der auf der Stuttgarter internationalen sozialistischen Frauenkonferenz geschaffenen Fraueninternationale und auf der zweiten internationalen Frauenkonferenz im Jahre 1910 in Kopenhagen hält sie ein großangelegtes Referat über das Frauenwahlrecht. In klar ausgearbeiteten Richtlinien weist sie den Frauen den Weg im Kampf um die Erringung der politischen Gleichberechtigung. In ihrem politischen Referat regt sie an, dass die Frauen in allen Ländern an einem Tag im Jahr gemeinsam für die Rechte der Frauen demonstrieren sollen. Diese Anregung wird von der Konferenz begeistert aufgenommen und der Frauentag beschlossen.
Mit der Einrichtung des Frauentages hat sich Clara Zetkin für alle Zeiten ein Denkmal gesetzt. Dieser Tag hat sich im Dasein der kämpfenden Frauen fest eingewurzelt. Seit 1911 ziehen Jahr für Jahr fortschrittliche Frauen in allen Ländern an einem Märztag auf die Straße, um für die Rechte der Frauen und für den Frieden zu demonstrieren.
Clara Zetkin hat ihr ganzes Leben dem Kampf um den Sozialismus gewidmet, sie hat heiß gekämpft, um den Frauen und der gesamten Arbeiterklasse zum Sieg zu verhelfen, um den Frieden zu sichern. Kurz vor Ausbruch des ersten Weltkriegs fand in Berlin eine Vorbesprechung für die im August geplante internationale Frauenkonferenz statt. Clara Zetkin fordert die anwesenden Frauen aus der Internationale auf, zu den Berliner Arbeitern zu sprechen, um ihre Kampfentschlossenheit gegen den drohenden Krieg zu stärken. Der sozialdemokratische Parteivorstand weist den Vorschlag Clara Zetkins brüsk zurück. Da beruft sie kurz entschlossen selbst eine Frauenversammlung ein und die Teilnahme tausender Arbeiter macht diese Versammlung zu einer machtvollen Demonstration gegen den Krieg.
Clara Zetkin ist unermüdlich für den Frieden tätig. Als der Weltkrieg ausbricht, beruft sie schon für den Jänner 1915 nach Berlin in der Schweiz eine internationale Frauenkonferenz ein Die österreichischen Sozialdemokratinnen lehnten aber die Teilnahme ab. Diese Berner Konferenz, an der außer deutschen auch Delegierte aus Holland, den skandinavischen Ländern, Russland und Frankreich teilnahmen, war die erste internationale Tagung seit Kriegsbeginn. Nach ihrer Rückkehr von dieser Konferenz wird Clara Zetkin in Deutschland verhaftet. Erst die russische Revolution 1917 öffnet ihren Kerker.
Im Jahre 1921 beabsichtigt sie, eine Konferenz demokratischer Frauen nach Deutschland einzuberufen, doch machten die damaligen politischen Verhältnisse die Abhaltung dieser Konferenz unmöglich.
Später geht Clara Zetkin, deren Gesundheit sehr geschwächt und die fast blind ist, nach der Sowjetunion. Ihr rastloser Geist siegt über die Schwäche ihres Körpers. Fast schon an der Schwelle des Todes, 74jährig, setzt sie eine ihrer größten Taten im Kampf gegen Faschismus und Krieg. Als Alterspräsidentin hält sie die Eröffnungsrede im deutschen Reichstag, in den die Nationalsozialisten mit hunderten Abgeordneten eingezogen waren. Sie hatten ihr mit Misshandlungen, ja mit dem Tode gedroht, wenn sie es wagen sollte, den Reichstag zu eröffnen. Sie ließ sich durch nichts, auch nicht durch ihre Krankheit abhalten, nach Berlin zu fahren. Es war ein Augenblick höchster Spannung, als sich die Tür zum Sitzungssaal öffnete und Clara Zetkin, gestützt auf zwei weibliche Abgeordnete, langsam den Weg zum Präsidententisch nahm. Als sie die Stufen zur Tribüne hinaufging, brachten ihr ihre Genossen eine jubelnde Ovation dar. Dann sprach sie. Man hatte geglaubt, sie werde sich auf die einfachen Eröffnungsformalitäten beschränken Sie aber hielt, von Leidenschaft und Begeisterung durchdrungen, eine fast einstündige Rede, die eine einzige Anklage gegen den Faschismus war, gleichzeitig aber in helle Siegeszuversicht ausklang. „Ich hoffe“, schloss sie ihre Rede, „ich hoffe noch den Tag zu erleben, an dem ich hier als Alterspräsidentin das Parlament der deutschen Sowjetrepublik eröffnen werde“.
Zwei Jahre später ist sie gestorben, betrauert von der Arbeiterschaft der ganzen Welt, vor allem aber von den Frauen, denen sie nicht nur Lehrerin und Erweckerin, sondern auch Vorbild war und ist, denen sie als immerwährendes Vermächtnis den internationalen Frauentag hinterlassen hat.
[1] L’Osservatore Romano vom 7. März 2024.
[2] Hornik-Strömer, Anna | Frauen in Bewegung 1848–1938 (onb.ac.at) ; auch Über den Beginn des Befreiungskampfes der Frauen in Zentralasien – Zeitung der Arbeit
[3] Florence Hervé (Hrsg.); Clara Zetkin oder: Dort kämpfen, wo das Leben ist. Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 75; aus der umfangreichen Literatur z. B. Clara Zetkin: Für die Sowjetmacht. Artikel, Reden und Briefe 1917–1933. Dietz Verlag Berlin 1977.
[4] Arbeiter-Zeitung vom 20. März 1911.
[5] Stimme der Frau vom 6. März 1948.
[6] Stimme der Frau vom 10. Juni 1950.
[7] Dolores Ibárruri: Der einzige Weg. Erinnerungen. Dietz Verlag Berlin 1985.
[8] Skulptur crowning im Kunstraum des Linzer Mariendoms zerstört (dioezese-linz.at)
[9] Galater 4, 1–7 (Die Bibel. Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift. Verlag Katholisches Bibelwerk GmbH, Stuttgart, 12. A. 2015, S. 1299); vgl. Ivone Gebara, Maria Clara Lucchetti Bingemer: Maria. In: Ignacio Ellacuría SJ/ Jon Sobrino SJ (Hg.), Mysterium Liberationis. Band 1, Edition Exodus Luzern 1995, S. 593–610, hier S. 597.
[10] The Birthday (Tag der Geburt) | Staatsgalerie; Konrad Farner: Kunst als Engagement. Sammlung Luchterhand. Darmstadt und Neuwied 1973, S. 204.
[11] Nr. 50 vom 26. Juni 1950, S.15.
[12] Einer der vielen, von den österreichischen Leitmedien nicht wahrgenommenen Aussendungen der palästinensischen Botschaft über die israelischen Verbrechen vom 28. Juni 2024.