Wien. Die neuen Zahlen von Rat auf Draht sprechen eine deutliche Sprache: Die Beratungen zum Thema Einsamkeit sind seit Jahresbeginn um 37,4 Prozent gestiegen. 202 Gespräche drehten sich allein zwischen Jänner und November um das belastende Gefühl der Isolation. Am stärksten betroffen sind Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 16 bis 24 Jahren – jene Generation, die angeblich so gut vernetzt ist wie keine zuvor, tatsächlich aber immer mehr unter fehlenden sozialen Beziehungen leidet.
Die Beratungsstelle beschreibt Einsamkeit als subjektives, schmerzhaftes Empfinden. Doch gerade weil dieses Gefühl so persönlich erlebt wird, übersieht man leicht, dass seine Ursachen keineswegs individuell sind. Einsamkeit entsteht nicht im luftleeren Raum. Sie ist ein gesellschaftlich erzeugtes Phänomen, das eng mit den Lebens- und Arbeitsbedingungen im Kapitalismus verbunden ist.
Denn obwohl Social Media, Messenger-Dienste und Smartphones heute permanente Kommunikation ermöglichen, schaffen sie keine echten sozialen Beziehungen. Die Frage ist nicht, ob junge Menschen zu viel am Handy sind, sondern warum ihnen ein gemeinschaftlicher Alltag zunehmend entzogen wird. Prekäre Arbeitsverhältnisse, Leistungsdruck in Schule und Studium, steigende Wohnkosten und der Abbau öffentlicher Infrastruktur zwingen viele junge Menschen in ein Leben zwischen Überforderung und Isolation. Freizeit wird zum Privileg, soziale Räume – ohne hohe Preise und Konsumzwang – werden immer weniger, und die gesellschaftliche Konkurrenzlogik frisst sich bis in die intimsten Bereiche des Lebens.
Vor diesem Hintergrund wirkt die Weihnachtszeit wie ein Brennglas. Die allgegenwärtigen Bilder von Familie, Harmonie und Konsum verstärken das Gefühl der Einsamkeit, ohne dass damit deren gesellschaftliche Ursachen auch nur im Ansatz berührt würden. Was als „besinnliche Zeit“ gilt, wird für viele zu einer Phase intensiver sozialer Kälte.
Dass Rat auf Draht jungen Menschen zuhört, Ursachen ergründet und gemeinsam nach Wegen aus der Einsamkeit sucht, ist wichtig und notwendig. Es fehlt an Angeboten, an Therapieplätzen, einer guten Versorgung. Die Wartezeiten für Hilfe ist zu lange. Doch selbst die beste Beratung kann nicht jene strukturellen Bedingungen verändern, die das Gefühl der Einsamkeit immer wieder hervorbringen. Auch der Verweis auf professionelle Hilfe ist sinnvoll, bleibt aber ein individueller Ansatz in einer sozialen Krise, die nach kollektiven Antworten verlangt.
Wer die zunehmende Einsamkeit junger Menschen ernsthaft bekämpfen will, muss die Lebensrealität dieser Generation grundlegend verändern. Notwendig ist ein massiver Ausbau öffentlicher Jugend‑, Kultur- und Freizeiteinrichtungen, leistbarer Wohnraum, stabile Ausbildungs- und Arbeitsverhältnisse, demokratische und solidarische Bildungsstrukturen sowie ein politisches Klima, das Gemeinschaft nicht als Konsumversprechen, sondern als sozial gelebte Praxis versteht.
Einsamkeit ist kein persönliches Defizit, sondern Ausdruck tiefgreifender kapitalistischer Entfremdung. Ihre Überwindung kann daher nicht auf individueller Ebene gelingen, sondern nur durch kollektive Organisierung und gesellschaftliche Veränderung. Gegen die systematische Vereinzelung hilft letztlich nur echte Gemeinschaft – eine, die auf Solidarität beruht und auf einem System, das den Menschen in den Mittelpunkt stellt, nicht den Profit.
Quelle: Ö24




















































































