Kommentar von Tibor Zenker, Vorsitzender der Partei der Arbeit Österreichs (PdA)
Lange hat es nicht gedauert, bis die Antikommunisten aller Ecken, v.a. aber aus dem „linksliberalen“ und sozialdemokratischen Bereich ihren Schockmoment über den Wahlsieg der KPÖ Graz überwunden haben: Zunächst versicherte man sich noch gegenseitig (und der KPÖ Graz), dass Elke Kahr ohnedies nichts mit Revolution und Sozialismus am Hut habe – was wohl stimmt –, dann aber musste man doch zum Diffamierungsschlag ausholen.
Ehemalige Linke, die sich heute für kritische Journalisten halten, attestieren einem Teil der KPÖ Steiermark schlichtweg „Stalinismus“, der „Falter“ entdeckt, dass ein KPÖ-Landtagsabgeordneter im weißrussischen Fernsehen zu sehen war, und „Der Standard“ lässt besonders schwurbelige Schauermärchen durch inhaltlich ahnungslose, aber überaus beseelte „Experten“ verbreiten, deren „Argumentationen“ nicht anders als strohdumm tituliert werden können. Und dass jede EU-Kritik „antieuropäisch“ sein muss, ist eh nichts Neues. Das Ziel der Journaille ist klar: Die KPÖ Graz muss maximal verteufelt werden, um ihren Durchbruch als Missverständnis oder gar Wählertäuschung darstellen zu können.
Dabei geht’s vermutlich gar nicht darum, ob Elke Kahr nicht doch insgeheim die Diktatur des Proletariats vorbereitet oder auf klandestine Weise die sozialistische Weltrevolution in der steirischen Provinz beginnen lässt, sondern nur um ein dezentes Gegenmodell zur herrschenden Politik: Offenbar ist es schon schlimm genug, wenn eine Partei beweist, dass man auf astronomische Spitzengehälter, Politikerprivilegien, Steuergeldverschwendung, Unternehmensspenden und eine abgehobene Politik über die Köpfe der Bevölkerung hinweg durchaus verzichten kann; wenn man beweist, dass man das Primat der kapitalistischen Profitmacherei nicht immer anerkennen muss, sondern auch echte Sozialpolitik zugunsten der Mehrheit betreiben kann; wenn man indirekt beweist, dass am gegenwärtigen System etwas nicht stimmt – und das kann und darf nicht sein, wie sich die politischen, wirtschaftlichen und medialen „Eliten“ rasch einig sind. Egal, wie harmlos die KPÖ Graz in Wirklichkeit ist – sie muss maximal dämonisiert werden.
Und da ist einem natürlich nichts zu blöd: Stalin und Nordkorea, Gulag und Prager Frühling (bzw. eher dessen Ende). Wer ein bisschen Ahnung von der heutigen KPÖ hat, sollte wissen, dass sie damit, in Graz wie in Wien, nichts zu tun hat und sich bereits gefühlte hunderte Male distanziert hat. „Aber man hat ja den Namen behalten!“, heißt es dann. Als ob der Name einer Partei zwingend etwas aussagen oder ggf. etwas ändern würde. Als sich in Österreich 1945 die Christlichsozialen neu konstituiert haben, haben sich die früheren Austrofaschisten vorsichtshalber in „Volkspartei“ umbenannt, doch das Porträt des faschistischen Mörders und Diktators Dollfuß blieb hängen. Welchen ideologischen Kern das „dritte Lager“ um zunächst VdU und dann FPÖ bedient, ist ungeachtet des Namens hinlänglich bekannt. Und das „K“ in KPÖ steht eben für kommunistisch, für das Ziel der klassenlosen Gesellschaft, die es bislang auf unserem Planeten noch nie gegeben hat. Sollte die KPÖ (Graz) dieses Ziel tatsächlich verfolgen, was man tendenziell ausschließen kann, dann wäre daran nichts verwerflich: Kommunismus bedeutet Gemeinschaftseigentum statt kapitalistischem Privateigentum, vollständige Demokratie statt verbrämter Diktatur des Kapitals – nur Kapitalisten würden davon nicht profitieren, weil es mit Ausbeutung und Unterdrückung der Mehrheit vorbei wäre. In der Tat: bösartigste Tyrannei.
Und das Spiel ist eben alt: Die ÖVP-Vorläuferpartei CSP warnte von 1920 bis 1933 vor den „bolschewistischen“ Sozialdemokraten – um 1933 selbst das Parlament auszuschalten und nach einem militärischen Putsch „von oben“ 1934 eine faschistische Diktatur zu errichten. 1970 musste in Chile die linke Volksfrontregierung des gewählten Präsidenten Salvador Allende eine Erklärung signieren, dass sie die Verfassung Chiles achten würde – sie tat es und wurde 1973 durch einen Putsch der bürgerlichen Kräfte und eine folgende faschistische Diktatur blutig beseitigt. Seit 1990 muss sich in der BRD die Partei „Die Linke“ (bzw. zuvor die PDS) regelmäßig von der DDR distanzieren, neuerdings sogar zur NATO bekennen – es hat ihr nichts eingebracht in einem Staat, in dem seit 1956 die KPD verboten ist, die unter hohem Blutzoll 1933–1945 gegen den NS-Faschismus gekämpft hatte.
Aber die KPÖ in Graz und der Steiermark spielt bereitwillig mit: Man kann gar nicht so schnell schauen, wie sie sich artig in einem Distanzierungsmarathon ergibt, sogar gegenüber Kuba, wo selbst anständige Sozialdemokraten wissen, was die richtige Seite ist. Einmal in Schwung, ist alles ganz weit weg, man distanziert sich von Murgg und Minsk, von ganz Osteuropa, ja quasi vom kompletten 20. Jahrhundert und eigentlich von allem, was außerhalb der Grazer Stadtgrenze und kommunalpolitischen Kompetenzen liegt. Von Stalin hat man natürlich „nie etwas gehalten“, was schon passen mag, aber man hätte vielleicht hinzufügen können: Millionen von sowjetischen Rotarmisten starben auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkrieges, um Europa und nicht zuletzt Österreich vom Faschismus zu befreien und die demokratische Zweite Republik zu ermöglichen – auf Befehl und unter Führung des verbrecherischen Stalin. Tausende österreichische Kommunistinnen und Kommunisten ließen ihr Leben im antifaschistischen Kampf, für die Wiedererstehung eines souveränen und demokratischen Österreich, während die Sozialdemokratie noch die Existenz einer österreichischen Nation leugnete und stramm deutschnational war. Die Unabhängigkeitserklärung vom April 1945 trägt die Unterschrift des KPÖ-Vorsitzenden Johann Koplenig, die österreichische Neutralität geht auf einen Vorschlag der KPÖ zurück – und beides wurde von der UdSSR, der KPdSU und deren Generalsekretär Stalin unterstützt, letzteres schon zu einer Zeit, als ÖVP und SPÖ die Neutralität noch als „Hochverrat“ ansahen. Das sind Dinge, die man nebenbei durchaus erwähnen kann, wenn man sich schon zu umfassenden Distanzierungen veranlasst sieht.
Wer etwas mutiger ist, könnte den frechen und heuchlerischen Distanzierungsgeboten der Antikommunisten noch mehr entgegensetzen. Die linken Parteien, ob sie nun wirklich revolutionär sind oder nicht, sollen immer jedwedem Sozialismus abschwören, ob real, wissenschaftlich oder utopisch. Doch fordert irgendwer von den bürgerlichen Parteien, sich endlich von den Verbrechen des Kapitalismus zu distanzieren? Deren Liste ist nämlich lang: Kolonialismus, zwei Weltkriege, faschistische Herrschaftsformen, imperialistische Aggressionen, chemische Waffen, Konzentrationslager, Völkermorde, der Holocaust und der Einsatz von Atombomben; die Gegenwart des Kapitalismus sind u.a. das mörderische EU-Grenzregime, NATO-Kriege und Kriegstreiberei, täglich tausende verhungernde Kinder oder die Zerstörung des Planeten aus Profitgier – dies alles haben kapitalistische Staaten und Parteien zu verantworten. Und nun wollen kapitalistische Parteien verlangen, man müsse sich auf Gedeih und Verderb zum Kapitalismus bekennen?
Nein. Es gibt nur eine richtige Position: Es ist vielmehr der Kapitalismus, der keinerlei Berechtigung mehr hat, nicht zuletzt moralisch. Es gibt nur eine Antwort, nämlich den konsequenten Antikapitalismus, den Sozialismus. Dass man hierbei keine Fehlentwicklungen wiederholen soll oder menschliche Grundprinzipien missachten, ist klar und muss nicht andauernd betont werden. Niemand muss sich vom berechtigten und gerechten Kampf gegen Kapitalismus und Imperialismus distanzieren – es sei denn, er hat damit wirklich nichts zu tun.