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Reallohnsenkung für die Eisenbahner während Corona-Epidemie

Im Zuge des rasanten Anstiegs der Coronavirus-Pandemie und den darauffolgenden Ausgangsbeschränkungen im Frühjahr 2020 haben die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) ebenso wie die private Westbahn AG im März ihre Fahrpläne angepasst und weitere Maßnahmen zur Eindämmung der Virusausbreitung eingeführt. Das Bahnpersonal hielt den Personen- und Güterverkehr daraufhin am Leben, jedoch unter schwierigen Arbeitsbedingungen und teilweise sogar verknüpft mit Gehaltseinbußen.

Kündigungen trotz Staatshilfen

Die Züge der beiden Bahnanbieter fuhren in Folge der Fahrplanumstellung seltener, der Railjet am Hauptverkehrsweg Salzburg-Wien beispielsweise nur mehr alle zwei Stunden statt wie zuvor stündlich. Auch der Regionalverkehr wurde reduziert und meist auf den Sonntagsfahrplan herabgesetzt, zumindest außerhalb der Hauptverkehrszeiten in der Früh und am Abend. Die internationalen Verbindungen wurden bis auf wenige Ausnahmen komplett gestrichen. In den Zügen wurde der Betrieb in den Speisewägen eingestellt, die Personenkassen zum Ticketkauf wurden zumindest vorübergehend nicht mehr besetzt. Am 14. April wurde außerdem die Pflicht einen Mundnasenschutz in allen öffentlichen Verkehrsmitteln zu tragen eingeführt.

All diese Maßnahmen erschienen als Reaktion auf den starken Rückgang der Nutzung des Schienenverkehrs durchaus sinnvoll. Konkret verzeichnete die ÖBB nach Einführung der Ausgangsbeschränkungen beispielsweise einen Abfall der Passagierzahlen von über 80 Prozent. ÖBB-Chef Andreas Matthä rechnet im Gesamtjahr 2020 mit einem Umsatzverlust von 800 Millionen Euro, wovon der Großteil, 450 Millionen Euro, aus dem Personenverkehr stammt.

Der Staat Österreich reagierte darauf auch bereits im Frühjahr mit einem Auftrag für die Strecke Salzburg-Wien in einem Umfang von 48,3 Millionen Euro. 40 Millionen davon erreichten die staatliche ÖBB, der Rest die private Westbahn. Damit gab sich der CEO der Westbahn, Erich Forster, jedoch nicht zufrieden. Im September versuchte er weitere Finanzspritzen vom Staat zu erpressen. Sollte die Republik dem Privatunternehmen nicht unter die Arme greifen, würden 100 Kolleginnen und Kollegen, ein Drittel der Belegschaft, gekündigt werden. Der Konzern, der nicht erst seit der Coronavirus-Pandemie rote Zahlen schreibt, nutzte also die Gunst der Stunde, den Staat Österreich, und somit auch das österreichische Volk, dreist um Hilfe zu bitten. Und die Drohung wurde eingehalten. Trotz Inanspruchnahme von Kurzarbeit, Notvergabe und Senkung des Infrastrukturbenützungsentgelts wurden die Verhandlungen mit der Gewerkschaft abgebrochen und 50 Kolleginnen und Kollegen zur Kündigung angemeldet. Davon betroffen sind vor allem weibliche Zugbegleiterinnen, die als Leiharbeitskräfte angestellt waren und somit unter geringem arbeitsrechtlichem Schutz stehen. Der Vorstand des Betriebsrats der Westbahn, Robert Reschreiter, interpretiert diese Entlassungen übrigens als Erfolg, da CEO Erich Forster ja eigentlich noch mehr Angestellte kündigen wollte. An die Gewerkschaftsfunktionäre braucht man also erwartungsgemäß keine Hoffnungen haben, die Arbeiterklasse muss selbstständig zu Kampfmaßnahmen greifen, wie die Partei der Arbeit in ihrer Stellungnahme zur laufenden Arbeitsplatzvernichtung festhält. Nur wenige Wochen nach den Kündigungen genehmigte das Verkehrsministerium der Westbahn übrigens weitere 7,5 Millionen und den ÖBB 37 Millionen Euro in Form eines erneuten Auftrages für die Verbindung Wien-Salzburg.

Schlechtere Arbeitsbedingungen und gewaltbereite Kundschaft

Doch wie hat die Coronakrise die Verhältnisse der im Bahnwesen arbeitenden Menschen verändert? Aufgrund der gesunkenen Fahrgastzahlen sowie der Einstellung des Bordrestaurantbetriebs wurde in den Zügen weniger Personal eingesetzt, die dadurch jedoch auch mehr Arbeiten übernehmen mussten als üblich.

Der Aufgabenbereich wurde durch die Pandemiesituation vergrößert. Jetzt müssen die Zugbegleiterinnen und ‑begleiter beispielsweise nicht nur die Tickets kontrollieren und ggf. verkaufen, sondern auch überprüfen, ob sich alle Fahrgäste an die Maskenpflicht halten und Strafen erheben, wenn diese das nicht tun. Das birgt übrigens tatsächlich einiges an Konfliktpotenzial, so kam es in der Vergangenheit immer öfter zu Übergriffen auf Kolleginnen und Kollegen, die die Kundschaft auf die MNS-Pflicht aufmerksam machten. Und auch bei anderen Streitigkeiten kommt es immer öfter zu körperlicher Gewalt in Zügen oder am Bahnhof: Im März, als die Infektionszahlen kurz vorm ersten Höhepunkt standen, spuckte ein Mann am Welser Bahnhof einer Reinigungskraft ins Gesicht. In Oberösterreich wurde ein Lokführer spitalsreif geschlagen, weil er einen Fahrgast auf das Rauchverbot in Zügen hingewiesen hatte.

Diese Häufung an Fällen körperlicher Gewalt ist kein Wunder, wenn nun schon seit Monaten so wenig Personal in den Zügen eingesetzt wird. Viele Züge am Land fahren sogar schaffnerlos, der Lokführer oder die Lokführerin ist also, sofern gewaltbereite Fahrgäste an Board sind auf sich alleine gestellt.

Diese Arbeitsbedingungen sind für die Belegschaft der Österreichischen Bundesbahnen und der Westbahn gefährlich und nicht hinnehmbar. Es braucht ausreichend Personal in den Zügen, um die Sicherheit der Lokführerinnen und ‑führer sowie Zugbegleiterinnen und ‑begleiter zu gewährleisten.

Man darf sich auch nicht täuschen lassen, die Beschäftigungsstandard bei der ÖBB wurden auch darüber hinaus in den vergangenen weiter runtergeschraubt. Über Subunternehmen werden besonders prekäre Arbeitsbedingungen möglich, der Bordservice ist schon lange outgesourct ähnlich wie die Securitys oder die Reinigungskräfte am Bahnhof und andere Bereiche. Doch auch für die Direktangestellten werden die Bedingungen nicht besser, die „neuen“ Dienstverträge gehen mit Abstrichen für die jüngeren Kolleginnen und Kollegen einher.

Kollektivvertragsabschluss und fehlende Solidarität

Im Kollektivvertragsabschluss 2020 wurden die Eisenbahnerinnen und ‑bahner für ihre Arbeit – die auch während der Coronapandemie nicht aus dem Homeoffice stattfindet, die regelmäßig beklatscht und gelobt wurde – erwartungsgemäß nicht belohnt. Eine steuerfreie Corona-Prämie von maximal 250 Euro war der obligatorische Dank. Die Lohnerhöhung betrug dafür dieses Jahr nur 1,3 Prozent und mindestens 35 Euro. Im Vergleich: 2018 wurden die Gehälter zumindest um 3,4 Prozent erhöht, jedoch bei höherer Inflation, 2019 dann schon nur mehr noch um 2,6 Prozent. Wichtig ist hier noch zu erwähnen, dass die Inflationsrate derzeit wieder steigt, im September im Vergleich zum Vorjahresmonat schon 1,5 Prozent beträgt und 2021 wohl noch weiter steigen wird. Tatsächlich ist der Reallohn aller Eisenbahnerinnen und ‑bahner also gesunken.

Dass diese Kollektivvertragsabschlüsse, die von der Gewerkschaftsführung feierlich angenommen werden, keine Reallohnerhöhungen sind, dürfte der österreichischen Bevölkerung wohl schon länger bekannt sein. Doch gerade in Zeiten wie diesen wäre ein größerer Aufschrei zu erwarten oder zumindest zu wünschen gewesen, wenn den Menschen, die den Personen- und Güterverkehr in Österreich am Leben erhalten, ein derart lächerlicher KV-Abschluss als Erfolg verkauft wird. An dieser Stelle beweist sich vor allem eine Strategie der letzten Jahrzehnte, die Solidarität und das Klassenbewusstsein der ÖBB-Belegschaft kleinzuhalten, als äußerst erfolgreich. Die schon vor 1994 eingestellten ÖBB-Bediensteten, das sind zirka 21.000 Menschen, stehen nämlich weiterhin unter Kündigungsschutz und sind außerdem von der Kurzarbeit ausgenommen. Ungefähr 12.000 weitere Kolleginnen und Kollegen der Bundesbahnen genießen diese Privilegien jedoch nicht mehr. Es kam im Zuge der Pandemiemaßnahmen zu Auseinandersetzungen innerhalb der Belegschaft: diejenigen, die Kurzarbeit leisten mussten, empfanden es verständlicherweise als Ungerechtigkeit, dass ein großer Teil ihrer Kolleginnen und Kollegen davon ausgenommen war und keine Gehaltseinbußen verzichten musste. Die Alteisenbahner wiederum wollten auf ihre noch geltenden Privilegien nicht verzichten. Dass beide Gruppen erkennen, dass sie eigentlich Verbündete sind und ihre wirklichen Feinde in den Vorstandsgremien der ÖBB und nicht zuletzt in der österreichischen Bundesregierung sitzen, wird durch eine solche Ungleichbehandlung erschwert.

Quelle: DiePresse/Zeitung der Arbeit/Standard/MeinBezirk/Kurier/Statistika/Standard

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