HomeWeitere RessortsKommentarDrei Briefe geschrieben im „Roten Wien“ um Weihnachten 2023

Drei Briefe geschrieben im „Roten Wien“ um Weihnachten 2023

Im Folgenden geben wir drei Briefe von unserem Gastautor Gerhard Oberkofler zu Israel und Palästina mit einer, von ihm verfassten, Einleitung wieder. Diese über E‑Mail ordentlich adressierte Briefe sind ohne jede Antwort geblieben. Die Briefe wurden im Dezember 2023 verfasst.

Der Schweizer Schriftsteller Max Frisch (1911–1991) hat in seinen „Entwürfen zu einem dritten Tagebuch“ (Suhrkamp Verlag Berlin 2010, S. 137) resümiert: „Es ist mit Reden und Schriften nichts zu machen. So wenig wie mit einer Selbstverbrennung oder einem Attentat. Vielleicht mit Kleinarbeit, ja, das dachten wie lange Zeit …. Was für ein biedrer Grössenwahn! Unsere Besprechungen im kleinen Kreis, Sitzungen in einem Gasthaus, Beratungen über das weitere Vorgehen, Einladungen zur Aussprache mit gewählten Volksvertretern, andernfalls ein Offener Brief an die Regierung, Vortrag für eine Gewerkschaft, Unterschrift zu einem Aufruf, Gesuch um die Bewilligung einer Demonstration für den Frieden … Ich bin alt, ich bin alt.“

Kommunisten sollten trotz allem keine solchen Pessimisten sein, aus ihrer Geschichte wissen wir, dass es nützlich sein kann, auch mit den kleinsten Mitteln für demokratisch-humanistische Ziele tätig zu werden.

7. Dezember 2023:

Betrifft: Israelfahne
An den Bürgermeister der Stadt Wien

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Michael Ludwig,

das barbarische, an die Greueltaten der Deutschen Wehrmacht erinnernde Vorgehen des israelischen Militärs gegen das palästinensische Volk ist ohne Wenn und Aber zu verurteilen. Mir ist deshalb völlig unverständlich, weshalb das offizielle Wien vor diesen israelischen militärischen Verbrechen die Augen verschließt und mit der Israelfahne am Wiener Rathaus diesen Verbrechen geradezu applaudiert.

Die Haltung Wiens zum Genozid am palästinensischen Volk ist eine Schande – das darf ein alter Tiroler Universitätsprofessor der Wissenschaftsgeschichte, der seit vier Jahren in Wien lebt, ausdrücklich anmerken.

11. Dezember 2023:

Betrifft: Pfarrblatt Dompfarre St. Stephan Weihnachten 2023
An die Dompfarre St. Stephan in Wien

Sehr geehrte Damen und Herren!

Heute Morgen war ich im Wiener Stephansdom und habe mir, gegen eine Spende, das Pfarrblatt der Dompfarre St. Stephan Weihnachten 2023 mit nach Hause genommen. Ich hätte das besser sein lassen.

Weihnachten habe ich in längst vergangenen Jugendjahren mit der Erinnerung an die Geburt des „Erlösers“ Jesus Christus verbunden und Weihnachten verbindet sich seit nun auch schon sehr vielen Jahren mit der Erinnerung an die Geburt eines wegen seiner revolutionären und Hoffnung gebenden Parteinahme für die Unterdrückten und Armen und für die Opfer der Kriege getöteten historischen Propheten. Die von Papst Franziskus repräsentierte Weltkirche will sich an dieses prophetische Christentum in der Praxis zurückerinnern.

Die Wiener Dompfarre hat sich 2023 für „israelische“ Weihnachten entschieden und unterstützt durch ihr Pfarrblatt mit klerikaler Heimtücke den vom Staat Israel zu verantwortenden Völkermord an der palästinensischen Bevölkerung. Ein Artikel (S. 10) ist von dem deutschen Theologen Bernhard Dolna mit einem Zitat „Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist“ von David Ben Gurion betitelt, jenes Ben Gurion, der für das Massaker an den palästinensischen Bewohnern des nahe von Jerusalem gelegenen Dorfes Deir Yasin durch zionistische Milizen (9. April 1948) und nach der von ihm deklarierten Staatsgründung (14. Mai 1948) für den Beginn der systematischen Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung verantwortlich war. Für das palästinensische Volk ist das der Beginn der vom Staat Israel bis heute zu verantwortenden Katastrophe (Nakba).

Der Artikel (S. 24 f.) von Danielle Spera – das Inserat ihres gemeinsamen Buches mit Dompfarrer Toni Faber darf in diesem Pfarrblatt (S. 34) nicht fehlen – hebt die biblische Geschichte von Debora als „Richterin. Prophetin. Mutter Israels“ hervor und bezeichnet diese siegreiche biblische Kriegsfigur als „Vorbild für heute“. Im Resümee singt Danielle Spera und mit ihr das Pfarrblatt das Debora-Lied (Richter, 5,9) gleichsam mit: „Mein Herz gehört Israels Führern“.

Die Israel-Botschaften dieses Pfarrblattes zu Weihnachten 2023 diskreditieren den wahren gesellschaftlichen Ort der katholischen Kirche und des christlichen Glaubens, der sich im Artikel des Jesuiten P. Georg Sporschill über die Geschichte eines seiner von ihm betreuten Straßenkinder in Bukarest abbildet (S. 8 f.). Das ist für mich ein Weihnachtsartikel, der unserer Gegenwart Zuversicht geben kann.

13. Dezember 2023

Betrifft: Führer einst und jetzt
An das Bundeskanzleramt in Wien

Die seit dem 26. Oktober 1955 immerwährend neutrale Republik Österreich hat am 12. Dezember d. J. auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen gegen den sofortigen humanitären Waffenstillstand in Gaza gestimmt. 153 Länder haben dafür gestimmt, 23 Länder haben sich der Stimme enthalten. Österreich hat mit Tschechien, Guatemala, Liberia, Mikronesien, Nauru, Papua-Neuguinea, Paraguay unter Anleitung von Israel und den USA gegen den humanitären Waffenstillstand gestimmt.

Nicht wenige Österreicher haben sich in der jüngeren Geschichte Österreichs schon einmal mitschuldig an den von einem Führer angeordneten barbarischen Grausamkeiten gemacht. Diesmal zeigt sich Österreich durch seine offizielle Vertretung mit den vom israelischen Führer Benjamin Netanjahu angeordneten Mordtaten in Gaza am palästinensischen Volk, dessen vom israelischen Bombenhagel Überlebende vertrieben werden, aber sogar einverstanden.

Als Historiker, der sich viel mit dem Neubeginn Österreichs nach 1945 befasst hat, bin ich über dieses erbärmliche Verhalten entsetzt und empört.

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