Das Gedicht „Fröhliche Ostern“ schrieb Kurt Tucholsky (1890–1935) im Jahr 1914. Es erschien zu Ostern desselben Jahres in der Berliner Wochenzeitschrift „Die Schaubühne“ unter dem Pseudonym Theobald Tiger.
Fröhliche Ostern
Da seht aufs neue dieses alte Wunder:
Der Osterhase kakelt wie ein Huhn
und fabriziert dort unter dem Holunder
ein Ei und noch ein Ei und hat zu tun.
Und auch der Mensch reckt frohbewegt die Glieder –
er zählt die Kinderchens: eins, zwei und drei…
Ja, was errötet denn die Gattin wieder?
Ei, ei, ei,
ei, ei,
ei!
Der fleißige Kaufherr aber packt die Ware
ins pappne Ei zum besseren Konsum:
Ein seidnes Schnupftuch, Nadeln für die Haare
die Glitzerbrosche und das Riechparfuhm
Das junge Volk, so Mädchen wie die Knaben,
sucht die voll Sinn versteckte Leckerei.
Man ruft beglückt, wenn sie’s gefunden haben:
Ei, ei, ei,
ei, ei,
ei!
Und Hans und Lene steckens in die Jacke,
das liebe Osterei – wen freut es nicht?
Glatt, wohlfeil, etwas süßlich im Geschmacke,
und ohne jedes innre Gleichgewicht.
Die deutsche Politik … Was wollt ich sagen?
Bei uns zu Lande ist das einerlei –
und kurz und gut: Verderbt euch nicht den Magen!
Vergnügtes Fest! Vergnügtes Osterei!
Quelle: Die Schaubühne, Nr. 15, 9. April 1914