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Wien Energie: Das Problem heißt Markt

Hinter dem plötzlichen Milliardenloch bei Österreichs größtem Energieversorger steckt tatsächlich Spekulation – aber nicht (nur) seitens des sichtbar überforderten, sozialdemokratisch gefärbten Managements.

Wien. Dass die Wien Energie übers Wochenende plötzlich Bedarf an bis zu sechs Milliarden Euro anmeldete, kam für viele überraschend. Noch schneller als die schließlich zur Verfügung gestellten Hilfskredite durch den Bund waren Verdächtigungen gegen die angeblich irrlichternde Geschäftsführung zur Hand. Die SPÖ Wien wiederum sieht erwartungsgemäß keinerlei Fehler in ihrem Verantwortungsbereich und ruft nach einer Lösung am besten durch die EU – dabei ist deren marktradikale Ausrichtung wesentlich für die Preisexplosion am Energiemarkt verantwortlich.

Über größere Zusammenhänge wollen die hiesigen Massenmedien lieber nicht berichten, stattdessen wird wild darüber gemutmaßt, inwiefern die Wien Energie spekuliert haben könnte, wie hoch die Energiepreise noch steigen (das Warum wurde mit „Putin!“ ja bereits erschöpfend geklärt) und ob die Kommunikation der Rettungsmaßnahmen schlecht oder sehr schlecht war. Als beim ORF-„Runden Tisch“ am Dienstag – derzeit immerhin die meistgesehene Sendung der TVTHEK – mehrmals das Thema Funktionsweise von Energiemärkten aufkam, grätschte Moderator Tarek Leitner stets beherzt dazwischen; Angeblich alles zu kompliziert für die dummen Zuseherinnen und Zuseher. Es gibt klare Grenzen des öffentlichen Diskurses – und zwar dort, wo man die Marktideologie grundsätzlich in Frage stellen könnte.

Börse macht günstigen Strom teuer

Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass es behördlich fixierte Tarife für Strom gab. Doch im Zuge des EU-Beitritts kam die große Liberalisierung auch am Energiemarkt. Seitdem sollen nicht die Produktionskosten, Umwelt- oder soziale Überlegungen den Strompreis bestimmen, sondern spezielle Börsen. Nun sind schon „herkömmliche“ Wertpapierbörsen für irrationale Ausschläge nach oben wie unten, für die Einpreisung von vermuteten Risiken und natürlich auch für legale wie nicht mehr legale Kursmanipulationen bekannt. So hatten die heuer ebenfalls explodierten Getreidepreise nichts mit realen Missernten zu tun, sondern vor allem mit der Annahme, dass der Ukraine-Krieg die Versorgung gefährden könnte. Das würde Inhaber von Getreide-Zertifikaten sehr glücklich und reich machen. Als Folge dieser Spekulation über die zukünftige Angebotssituation stieg der Brotpreis ganz real und verursachte millionenfach Elend und Hunger in den ärmsten Regionen der Welt – und eine Handvoll Fonds machte an der Pariser Getreidebörse den großen Reibach.

Der Markt in Aktion: Börsenpreise bestimmen die Stromrechnung. Grafik: Österreichsiche Energieagentur.

Dieses Schwanken zwischen „scheuem Reh“, Waghalsigkeit und Verbrechen zeigt sich gerade auf den Energiebörsen. Über sie wird nur ein kleiner Teil des gesamten Stromhandels abgewickelt, was sie besonders anfällig für Übertreibungen und Manipulationen aller Art macht. Die Pointe an der sogenannten „Liberalisierung“: Der auf den Börsen zustande gekommene „Wert“ ist – völlig unfrei – die Grundlage für den Strom-Großhandelsindex. Das ist ungefähr so sinnvoll, als würde man den Trinkwasserpreis an die Nestlé-Aktie koppeln. Der Index bestimmt wiederum die Strompreise der Verbraucher. Und im Falle von Wien Energie eben auch die zu hinterlegenden Sicherheiten, die binnen kürzester Zeit Milliardensummen ausmachten. Nun kann sehr wohl hinterfragt werden, warum das alles das Management so unvorbereitet getroffen hat – doch das Problem ist wesentlich größer; wenn jetzt Staatsgeld „verloren“ geht, bereichert sich auf der anderen Seite jemand damit.

Als Folge dieser künstlich geschaffenen Energiehandelsplätze sind wir alle (die im Gegensatz zu Großkonzernen keine mehrjährigen Lieferverträge mit Energieproduzenten abschließen können) abhängig von den Spekulationen einer kleinen Gruppe von Marktteilnehmern, deren einziges Motiv es ist, den maximalen Profit zu machen. Das ist kein Naturgesetz, sondern Folge eines politisch gewollten Vermarktungsprozesses möglichst aller Wirtschaftsbereiche.

Die EU bekannte sich bereits in den 80er-Jahren zur Liberalisierung der Strommärkte und beschloss vor über 20 Jahren wesentliche Richtlinien zu deren Umsetzung. Nur zum Vergleich: Die EU-Richtlinie über angemessene Mindestlöhne wurde heuer (!) beschlossen und wird, wenn überhaupt, erst in mehreren Jahren von allen Mitgliedsstaaten ratifiziert sein. So sehen die Prioritäten jenes Zweckbündnisses aus, auf dessen Hilfe Bundesregierung und Stadt Wien nun hoffen.

Quellen: ORF/Moment.at

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