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Papst Pius XII. wusste vom Holocaust

Der Papst wurde 1942 brieflich über einige der schlimmsten Verbrechen des deutschen Faschismus informiert, womit die Mitwisserschaft des Vatikans nicht mehr geleugnet werden kann.

Vatikanstadt. Papst Pius XII. wusste bereits 1942 von den Versuchen des deutschen Faschismus, Menschen im Holocaust zu vernichten, die er für lebensunwert einschätzte. Dies geht aus einem Brief hervor, der in den Archiven des Vatikans gefunden wurde und im Widerspruch zur offiziellen Position des Vatikans steht, der damals behauptete, die Informationen seien vage und ungeprüft gewesen.

Ein interner Archivar des Vatikans hat unlängst einen mit Schreibmaschine geschriebenen Brief entdeckt und mit der Unterstützung von Vatikanbeamten veröffentlicht. Der vom 14. Dezember 1942 stammende Brief wurde von Pater Lother König geschrieben, einem Jesuiten, der im antifaschistischen Widerstand in Deutschland aktiv war. Der Brief war an den persönlichen Sekretär des Papstes im Vatikan, Pater Robert Leiber, ebenfalls ein Deutscher, gerichtet.

Der Archivar des Vatikans, Giovanni Coco, erklärte gegenüber dem Corriere, der Brief sei „von enormer Bedeutung, ein einzigartiger Fall“, da er zeige, dass der Vatikan Informationen darüber besessen haben musste, dass die faschistischen Arbeitslager in Wirklichkeit Vernichtungslager gewesen sind.

Papst Pius‘ langes Schweigen

Das Schweigen von Pius XII. zu den Verbrechen des Dritten Reiches ist seit langem Gegenstand heftiger Debatten zwischen Kritikern und Verteidigern von Papst Eugenio Pacelli: Es geht auch um seinen Seligsprechungsprozess, der 1967 eingeleitet wurde und innerhalb der katholischen Kirche selbst sehr umstritten ist. Die Forschungen von Coco, die in dem Band „Carte di Pio XII oltre il mito“ (Die Papiere von Pius XII. jenseits des Mythos) zusammengefasst sind, der am 18. September vom Apostolischen Archiv des Vatikans veröffentlicht wird, stellen eine sehr wichtige Etappe in der laufenden historiographischen Rekonstruktionsarbeit dar.

Denn in diesem Brief berichtet König Leiber, dass Quellen bestätigten, dass im Lager Belzec in der Nähe von Rava-Ruska, das damals zum deutschbesetzten Polen gehörte und heute in der Westukraine liegt, täglich etwa 6.000 Polinnen, Polen, Jüdinnen und Juden in „SS-Öfen“ umgebracht wurden.

„Die Neuheit und Bedeutung dieses Dokuments ergibt sich aus einer Tatsache: Wir haben jetzt die Gewissheit, dass die katholische Kirche in Deutschland Pius XII. genaue und detaillierte Informationen über die Verbrechen an Juden übermittelt hat“, sagte Coco dem Corriere.

Wahrscheinlich noch mehr Briefe

Der Brief nahm Bezug auf zwei andere Konzentrationslager – Auschwitz und Dachau – und deutete darauf hin, dass es weitere Briefe zwischen König und Leiber gab, die entweder verlorengegangen sind oder noch nicht gefunden wurden. Der gefundene Brief gehörte zu den Dokumenten, die laut Coco im Staatssekretariat des Vatikans ungeordnet aufbewahrt und erst kürzlich an das Zentralarchiv übergeben wurden, in welchem er arbeitet.

Suzanne Brown-Fleming, Direktorin für internationale akademische Programme am U.S. Holocaust Memorial Museum in Washington DC, sagte Reuters in einer E‑Mail, dass die Freigabe zeige, dass der Vatikan die Aussage von Papst Franziskus ernstnehme, dass „die Kirche keine Angst vor der Geschichte“ habe, als er die Öffnung der Kriegsarchive für 2019 anordnete.

Quellen: Reuters / CorrieredellaSera

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